Der Bundestag beschließt das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (StaRUG), das bereits zum 1. Januar 2021 in Kraft treten soll.
Bereits im März 2019 hat das EU-Parlament die Richtlinie zum künftigen „Präventiven Restrukturierungsrahmen″ beschlossen (siehe hierzu unseren Blog-Beitrag). Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, einen präventiven Restrukturierungsrahmen (auch „vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren″ genannt) zu schaffen. Dieser soll Unternehmen die Möglichkeit geben, außerhalb des Insolvenzverfahrens Sanierungsmaßnahmen unter schützenden Bedingungen in einheitlicher Weise mit den Beteiligten abzustimmen und umzusetzen, ohne dass es zwingend der Herstellung eines Konsenses unter den Betroffenen bedarf oder einzelne Beteiligte das Vorhaben blockieren können.
Gesetzgebung im Rekordtempo
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat am 18. September 2020 den 247 Seiten starken Referentenentwurf für ein Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vorgelegt. Bereits am 14. Oktober 2020, und damit nicht einmal einen Monat nach dem Erscheinen des Referentenentwurfs, erschien bereits der Regierungsentwurf des SanInsFoG Der Bundestag hat das Gesetz am 17. Dezember 2020 in der Fassung der Beschlussempfehlung des Bundesrechtsausschusses verabschiedet. Zwischen der ersten Vorlage des Gesetzes und der Verabschiedung liegen damit nur drei Monate.
Das Gesetz enthält eine Vielzahl von Regelungen, die einerseits den präventiven Restrukturierungsrahmen umfassen, andererseits das bestehende Sanierungs- und Insolvenzrecht auf Grundlage der Ergebnisse der Evaluation des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) fortentwickeln und ergänzen sollen. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Evaluation finden Sie hier.
Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen
Der präventive Restrukturierungsrahmen heißt „Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen″ und ist im Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG) geregelt. Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen bietet einen von dem Insolvenzverfahren unabhängigen gesetzlichen Rahmen zur Sanierung von Unternehmen ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ist nicht als integriertes Verfahren – etwa nach dem Vorbild der früheren Vergleichsordnung – konzipiert, sondern als ein Rahmen von Verfahrenshilfen, welchen die Schuldnerin im Zuge eines von ihr verfolgten Restrukturierungsvorhabens – grundsätzlich ohne formale Verfahrenseröffnung und unabhängig voneinander – in Anspruch nehmen kann.
Kernelement ist der Restrukturierungsplan (§§ 5 ff. StaRUG). Der darstellende Teil enthält das Restrukturierungskonzept, das auf Grundlage des Plans und mit der Bewirkung der im gestaltenden Teil vorgesehenen Rechtsfolgen verwirklicht werden soll.
Über diesen Plan stimmen die Planbetroffenen, also insbesondere die Inhaber sogenannter Restrukturierungsforderungen ab. Hierfür werden die Planbetroffenen in Gruppen eingeteilt. Für die Annahme des Restrukturierungsplans ist gemäß § 25 Abs. 1 StaRUG grundsätzlich erforderlich, dass in jeder Gruppe auf die dem Plan zustimmenden Gruppenmitglieder mindestens 75% der Stimmrechte in dieser Gruppe entfallen (das Stimmrecht ist abhängig vom Betrag der Restrukturierungsforderungen, vgl. § 24 Abs. 1 StaRUG). Es ist aber auch möglich, dass die Zustimmung einzelner Gruppen ersetzt wird (§§ 26-28 StaRUG). Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen kann also gegen den Willen einzelner Gläubiger umgesetzt werden. Ausgenommen hiervon sind allerdings unter anderem Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung.
Außergerichtliches Verfahren, aber Einbeziehung des Restrukturierungsgerichts möglich
Die Ausarbeitung und Abstimmung über den Restrukturierungsplans erfordern grundsätzlich keine gerichtliche Beteiligung. Nur die sogenannten Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erfordern eine Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht und dessen Tätigwerden (§29 StaRUG-E):
- die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens (gerichtliche Planabstimmung),
- die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Planbestätigung),
- die gerichtliche Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind (Vorprüfung) und
- die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung (Stabilisierung).
Als fünftes Instrument sah der Regierungsentwurf die gerichtliche Beendigung von gegenseitigen, noch nicht beiderseitig vollständig erfüllten Verträgen vor. Diese Möglichkeit wurde nach der Beratung des Bundesrechtsausschusses gestrichen.
Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten als Regelfall?
Die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten soll nur im Ausnahmefall notwendig sein, ansonsten auf Antrag der Schuldnerin oder von mindestens 25% der Restrukturierungsgläubiger einer Restrukturierungsgruppe, die zur Übernahme der Kosten bereit sind, erfolgen (§ 77 Abs. 1 StaRUG). Allerdings ist sie u.a. dann notwendig, wenn Rechte von Verbraucherinnen oder mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen berührt werden, eine Stabilisierungsanordnung erwirkt wird, eine Vertragsbeendigung beantragt wird oder absehbar ist, dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Willen von Inhaberinnen von Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften erreichbar ist, deren Zustimmung ersetzt werden müsste (vgl. § 74 StaRUG).
Umfassender Anfechtungsschutz nur bei Einbeziehung des Gerichts
Die Möglichkeiten zur Insolvenzanfechtung im Umfeld des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens wird eingeschränkt (§ 89 StaRUG). Den umfassenden Anfechtungsschutz genießen Maßnahmen zum Vollzug des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens allerdings nur, wenn der Restrukturierungsplan rechtskräftig (gerichtlich) bestätigt wurde (§ 90 Abs. 1 StaRUG).
Neue Gerichtszuständigkeit: das Restrukturierungsgericht
Das StaRUG führt eine neue Gerichtszuständigkeit für die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ein: das Restrukturierungsgericht. Das Restrukturierungsgericht ist grundsätzlich das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat. Dies bedeutet eine höhere Verfahrenskonzentration als bei Insolvenzverfahren. In Insolvenzsachen ist bislang in der Regel dasjenige Amtsgericht als Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk ein Landgericht seinen Sitz hat.
Sanierungsmoderation im Vorfeld des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens
Unabhängig vom Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen eröffnet § 94 StaRUG der Schuldnerin die Möglichkeit, im Falle von wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten eine gerichtlich bestellte Sanierungsmoderatorin in Anspruch zu nehmen. Diese soll als unabhängige, in Sanierungs- und Restrukturierungsfragen sachkundige Person bei der Ausarbeitung einer Sanierungslösung unterstützen.
Die Bestellung der Sanierungsberaterin erfolgt zunächst für einen Zeitraum von drei Monaten und kann auf Antrag der Moderatorin und mit Zustimmung der Schuldnerin und der an den Verhandlungen beteiligten Gläubigerinnen um weitere drei Monate verlängert werden.
Die Sanierungsmoderatorin wird zuvor abberufen, wenn sie oder die Schuldnerin dies beantragen oder wenn dem Gericht durch die Moderatorin die Insolvenzreife der Schuldnerin angezeigt wurde. Nimmt die Schuldnerin Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch, bleibt die Sanierungsmoderatorin im Amt, bis der Bestellungszeitraum abläuft, sie abberufen wird oder eine Restrukturierungsbeauftragte bestellt wird.
Moderate Verschärfung der Haftung für Geschäftsleiter
§ 1 StaRUG etabliert eine rechtsformunabhängige Pflicht von Geschäftsleitern zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern.
Ab Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht muss die Geschäftsleitung nach § 32 Abs. 1 StaRUG die Restrukturierungssache mit der „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführerin″ betreiben und Maßnahmen unterlassen, die das Restrukturierungsziel gefährden. Sie hat hierbei auch die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren. Anders als noch im Regierungsentwurf vorgesehen, gilt die Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen nicht allgemein ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit, sondern erst ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Schadenersatzansprüche bei Pflichtverletzung kann nur das Unternehmen selbst, nicht aber Gläubiger geltend machen.
Im Gegenzug sollen die Geschäftsleitungen aber auch entlastet werden: Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, ziehen nunmehr trotz Vorliegens einer Überschuldung keine Haftung nach (§ 15b InsO). Der neue § 15b InsO verlagert die Haftungsvorschriften für Zahlungen der Geschäftsleitung nach Eintritt der Insolvenzreife (etwa § 64 GmbHG, 92 Abs. 2 AktG, 130a HGB) nun rechtsformübergreifend in die Insolvenzordnung.
Verhältnis Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen und Eintritt der Insolvenzreife
Tritt nach einer Anzeige einer Restrukturierungssache beim Restrukturierungsgericht Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein, ist dies dem Restrukturierungsgericht anzuzeigen. Diese Regelung ist unter anderem deshalb erforderlich, weil während der Dauer der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist. Die Anzeige der zwingenden Insolvenzantragsgründe ersetzt dann die Insolvenzantragsstellung. Das Restrukturierungsgericht hat nach Anzeige der Insolvenzreife die Möglichkeit, die Restrukturierungssache aufzuheben.
Änderungen des geltenden Insolvenzrechts
Daneben enthält das SanInsFoG weitere Änderungen, die die Insolvenzordnung selbst betreffen:
Sind mindestens zwei der Kriterien des § 22a Abs. 1 InsO (mind. EUR 6 Mio. Bilanzsumme, mind. EUR 12 Mio. Umsatz, mind. 50 Arbeitnehmer) erfüllt, soll der Schuldnerin nach § 10a InsO -E nunmehr ein Anspruch auf ein Vorgespräch mit dem zuständigen Insolvenzgericht gewährt werden. Dies kann hilfreich zur Klärung von entscheidenden Verfahrensfragen vor Insolvenzantragstellung sein.
Des Weiteren werden die Voraussetzungen für die Eigenverwaltung deutlich präzisiert und damit auch erhöht (§§ 270 ff. InsO). Der Gesetzgeber verspricht sich hierdurch, dass das Verfahren noch stärker an die Gläubigerinteressen anknüpft. Die Eigenverwaltung soll so durch gut vorbereitete Schuldnerinnen künftig weiter gestärkt werden.
Um die drohende Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung künftig deutlicher abgrenzen zu können, werden durch das SanInsFoG unterschiedliche Prognosezeiträume festgelegt: Der Prognosezeitraum der drohenden Zahlungsfähigkeit beträgt nun 24 Monate (§ 18 Abs. 2 InsO-E), derjenige der Überschuldung zwölf Monate (§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO-E). Auch soll so der Rechtsunsicherheit bei einem langen Prognosezeitraum entgegengewirkt werden.
Zugleich wurde die teilweise und vorübergehende weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, die auf die Auszahlung von November- und Dezemberhilfen warten, sowie die Erleichterungen für COVID-19-bedingt insolvente Unternehmen, beschlossen.
Präventive Sanierung aussichtsreich!?
Aus Sicht der Praxis ist es zu begrüßen, kriselnden Unternehmen mit dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen die realistische Möglichkeit zur Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens – und damit auch außerhalb des Stigmas des Insolvenzverfahrens – zu eröffnen. Diese Möglichkeit ist umso wertvoller, da eine Veröffentlichung von gerichtlichen Beschlüssen nur auf Antrag der Schuldnerin erfolgen soll.
Der Bundesrechtsausschuss hat an einigen wesentlichen Stellen den Regierungsentwurf nachgebessert. So wurden in allerletzter Sekunde die immensen Anforderungen an Geschäftsleiter merklich entschärft und Haftungsrisiken auf ein nach heutiger Sicht beherrschbares Maß beschränkt. Allerdings wurde mit der Streichung der Möglichkeit der Vertragsbeendigung das scharfe Schwert deutlich stumpfer. Gerade für den COVID-19-gebeutelten Einzelhandel wäre dieses Instrument häufig ein Erfolgsgarant gewesen.
Sicherlich wird der Praxiseinsatz dieses neuen, 102 Paragraphen starken Gesetzes an einigen Stellen noch Nachbesserungsbedarf aufzeigen. Hier sollte der Gesetzgeber wachsam bleiben und schnell reagieren. Es bleibt zu hoffen, dass sich alle Betroffenen, insbesondere die Restrukturierungsgerichte, schnell mit ihren neuen Aufgaben und Möglichkeiten anfreunden und der präventiven Sanierungsmöglichkeit in Deutschland zum Erfolg verhelfen.